Interview im Magazin der Film- und Medienstiftung NRW

MEHR FREIHEITEN Interview mit Ruge-Stipendiatin Gesa Hollerbach

Die Kölner Filmautorin und KHM-Absolventin Gesa Hollerbach („Mühen der Ebene“) erhielt ein Gerd Ruge Stipendium in Höhe von 20.000 Euro für ihr Projekt „Wir sind das Dorf“. Tatjana Kimmel-Fichtner sprach mit der 35-Jährigen über ihre Pläne.

Was bedeutet das Gerd Ruge Stipendium für Sie?

Die Bewerbung habe ich nicht ins Blaue hinein geschrieben, sondern ich hatte konkrete Pläne, die ich in der Zwischenzeit weiterverfolgt habe. Ich freue mich sehr über das Stipendium, weil damit die Finanzierung vorerst gesichert ist. Bisher hatte ich mit den Protagonisten aus Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen nur telefonischen Kontakt. Dank des Stipendiums kann ich jetzt hinfahren und erste Szenen drehen. Ich bin gespannt darauf, den Menschen, die mir schon so viel von sich erzählt haben, jetzt auch persönlich zu begegnen. Außerdem hoffe ich, dass das Gerd Ruge Stipendium ein Türöffner in den Redaktionen sein wird und neue Kontakte schafft. Das merke ich schon jetzt an den Menschen, die mich ansprechen und mir gratulieren. Das Stipendium macht Mut und verändert die eigene Haltung.

Wovon soll „Wir sind das Dorf“ handeln?

Eine zentrale Rolle wird ein Ladenprojekt von Senioren im Kölner Stadtteil Vogelsang spielen. Dort am Stadtrand leben viele alte Menschen, die an ihrem Wohnort keine Möglichkeit zum Einkaufen haben. Sie müssen zum Teil mit ihrem Rollator im Bus zum Supermarkt fahren. Deshalb will eine Gruppe von Senioren einen Dorfladen gründen. Diese Eigeninitiative fasziniert mich. Das wird der rote Faden meines Films sein. Ich möchte Geschichten erzählen von Menschen, die aus einer Notsituation heraus etwas auf die Beine stellen. Ganz nebenbei werden die Geschichten auch etwas über den demografischen Wandel erzählen. Ich habe schon einige Protagonisten und Themen im Auge. Wie zum Beispiel einen Architekten, der vor etwa fünf Jahren mit der Gründung einer Schule in Mecklenburg-Vorpommern ein ausgestorbenes Dorf wiederbelebt hat. Jetzt hat das Bildungsministerium die Schule geschlossen. Ich finde, das klingt spannend. Aber ich bin offen für andere Geschichten. Dank des Stipendiums habe ich jetzt Zeit, mir meine Partner in Ruhe auszusuchen.

Wie planen Sie den Film?

Das Gerd Ruge Stipendium sieht vor, dass in anderthalb Jahren die Vorbereitungen abgeschlossen sind, ein Trailer vorliegt, Material gesichert ist und die Produktion beginnen kann. Ich habe mir vorgenommen, dass ich im Sommer 2013 so weit bin und eine Produktionsförderung beantragen kann. Um Kosten zu sparen, habe ich bisher Schnitt und Kamera selbst gemacht. In der Vorbereitungsphase von „Wir sind das Dorf“ werde ich wie gewohnt allein mit meiner Kamera losziehen. Das gibt mir in der ersten Begegnung mit den Protagonisten mehr Freiheiten. Aber für die Produktion würde ich gerne einen Kameraprofi engagieren. Damit habe ich ganz andere filmische Möglichkeiten. Durch das Stipendium ist die Zusammenarbeit mit einem Kameramann möglich. Das will ich mir nicht entgehen lassen.

In Ihrem Abschlussfilm an der KHM „Mühen der Ebene“ dokumentieren Sie die Monheimer Kommunalpolitik. Sie scheinen keine Angst vor sperrigen Themen zu haben?

Nein, ich dachte zuerst Kommunalpolitik ist langweilig. Aber dann habe ich gemerkt, dass Bürger ihre Lebenssituation aktiv gestalten können. Meine Kommilitonin Petra Eicker und ich haben hinter die Kulissen geschaut und gemerkt, dass die Geschichten und Prozesse sehr spannend sind. Das haben andere auch so empfunden, und so läuft „Mühen der Ebene“ ab Herbst 2012 im Kino. Das ist toll, auch weil wir mehr als zwei Jahre an dem Film gearbeitet haben. Es reizt mich, sperrige Themen wie Kommunalpolitik, demografischer Wandel, Bildungspolitik oder auch Eigeninitiative mit Leben zu erfüllen. Das will ich auch in „Wir sind das Dorf“ schaffen. Gerd Ruge hat bei der Preisverleihung gesagt, dass die Jury Projekte ausgewählt habe, deren Themen auch in zwei Jahren relevant seien. Das finde ich super. Ich denke, dass die Geschichten in „Wir sind das Dorf“ von Themen erzählen, die auch noch in
zehn Jahren wichtig sein werden.

Ihre Protagonisten werden in erster Linie Senioren sein. Wie begegnen Sie ihnen als junge Frau?

Meine Großeltern sind sehr alt geworden, und sie waren mir als Gesprächspartner immer sehr wichtig. Einer meiner Protagonisten ist 82 Jahre alt. Er war Briefträger und ist geistig und körperlich total fit. Die Begegnung mit ihm ist eine besondere Erfahrung. Ich bin erstaunt, wie aktiv die Alten sind. Es ist beeindruckend zu sehen, mit welchem Elan sie eine Sache angehen und sich engagieren, um eine schlechte Situation zu verbessern. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Alten mehr auf die Beine bringen als manch ein 30-Jähriger.

Was reizt Sie am Dokumentarfilm?

Diese intensive Beschäftigung mit den Menschen und das Eintauchen in sonst verborgene Welten empfinde ich als eine wahnsinnige Bereicherung. Mir geht es nicht darum, die Welt zu erklären. Als Dokumentarfilmerin will ich meine eigene Perspektive einbringen. Alle meine Filme haben eine spielfilmartige Dramaturgie, sie erzählen persönliche Geschichten.

Film- und Medienstiftung NRW Magazin 05/2012